Mein Maskottchen ist der Gefahrgutbeauftrage von LEGO. Er sitzt auf meinem Schreibtisch und wacht darüber, dass alles mit rechten Dingen zugeht. Den Beginn unserer wunderbaren Freundschaft sehen Sie hier (und über die Schwierigkeiten, zueinander zu finden erfahren Sie hier mehr)

Freitag, 28. September 2012

Wie ich die Betty Wulff der Bärenorgie wurde


Amüsante Einblicke (!)

... oder wie ich die Betty Wulff der Bärenorgie wurde....

Bloggern wird oft Eines vorgeworfen: Sie seien so schrecklich selbstreferenziell.
Egomanische Überzeugungs-Laptop-Täter, ich-bezogen, mit gar grausigem Mitteilungsdrang und Geltungsbedürfnis

Ähm, ich widerspreche jetzt mal lieber nicht.
Screenshot "V wie Vendetta": ich als Beinah-Leiche
Und will lieber eine kleine Geschichte erzählen, am besten chronologisch.


Vor einigen Jahren hatte ich die Idee, eine Artikelserie über Kleinanzeigen in Szeneblättern und deren Hintergründe zu machen, gewissermaßen als der "Wallraff der Kleinanzeigen". Da Aufwand und Erlös in keinerlei Verhältnis standen verschwand die Idee alsbald in der medialen Schrott-Schublade. Einen Text hab ich dann doch fabriziert, und mangels monetärer Verwertbarkeit auf einestages, dem User-Content-Portal des Online-Spiegel veröffentlicht. Dort war er auch recht erfolgreich (Zitat aus einer Mail des damaligen Ressort-Leiters an mich):


"Es passiert nicht so oft, dass ein Lesertext es bis auf die oberen Aufmacherplätze bei SPIEGEL ONLINE schafft und sich dann auch noch so lange dort hält. Sie können das absolut als Kompliment für Ihren Text betrachten!"


Nun ja, allerdings war ich mit den Mitteln, mit denen dieser „Erfolg“ erzielt wurde, nicht ganz einverstanden: Neben diversen, teils sinnentstellenden Kürzungen wurde dem Text auch ein unschöner dramatischer Beigeschmack gegeben. Zitat aus einer Mail von mir an die zuständige Redakteurin:

"Ich fand meine Erfahrungen lustig und unterhaltsam, nicht mehr, nicht weniger. (...) Was mich ärgert: Der Tenor meines Textes ist meiner Meinung nach eher "humoristisch", und was immer wieder betont wird ist der Zusammenhalt der Protagonisten, und der damit verbundene Galgenhumor

Es war alles andere als ein Alptraum. (...) Zwei Filmkollegen riefen mich an, und fragte ehrlich verwundert, ob die Dreharbeiten für mich im Nachhinein wirklich solch ein Alptraum gewesen sind. Mein Lebensgefährte lacht übrigens immer noch über Ihre nette Formulierung "Er war dünn und sah irgendwie ausgehungert aus". Und ich wollte gewiss keine "Gruselgeschichte" schreiben."


Was war geschehen? Mein eingesandter Vorschlag für eine kurze zusammenfassende Inhaltsangabe lautete:

"Amüsante Einblicke in das harte Komparsenleben beim Dreh eines
Hollywood-Blockbusters in der brandenburgischen Pampa"

Screenshot einestages
Was machte einestages vom SPIEGEL daraus?
"Eigentlich wollte er sich nur als Filmleiche ein paar Euro dazuverdienen - dann fand sich Tobias Mandelartz in einem Alptraum wieder: Der Dreh für den angekündigten Science-Fiction-Streifen entpuppte sich als KZ-Szene, sadistische Aufseher und Massengrab inklusive"

(Übrigens, das Wort "KZ-Szene" stammte selbstverständlich NICHT von mir und wurde auch flugs nach zwei Tagen in "grausige Massengrab-Szene" geändert, laut damaligem  Ressortleiter müsse man mit solchen Begriffen "pingelig" sein, was MIR sehr recht war. Ergänzt wurde die Einleitung nun durch den schönen - oben schon empört erwähnten - Satz "Die Gruselgeschichte eines Komparsen")

Was ich lernen musste. "Amüsante Einblicke" geht gar nicht. Zitat wiederum aus einer Mail des Ressortleiters:
"...denn ein Text, der mit "Amüsante Einblicke" überschrieben ist, wird einfach nicht wahrgenommen - ob es uns gefällt oder nicht".

Screenshot ""V wie Vendetta", im Kreis liege ich
Tja, dann lieber aus den Einblicken einen Alptraum fabrizieren.

Von launigen und weniger launigen Laudatoren

Anekdote am Rande: Dieser Text auf einestages war kurze Zeit später nominiert für den "Deutschen Reporterpreis 2009" in der Kategorie "Beste Webreportage". Laudator bei der feierlichen Preisverleihung war ausgerechnet der Medienblogger Niggemeier, der Jahre später - nicht ganz freiwillig - eine wichtige Rolle in meinem Leben übernehmen sollte, dazu später. Bei der "Laudatio" (laut Duden "im Rahmen eines Festakts gehaltene feierliche Rede, in der jemandes Leistungen und Verdienste gewürdigt werden") hatte er nichts Besseres zu tun als süffisant über die Qualität der eingereichten Beiträge zu nölen, zu meckern, zu klagen. In seinem Blog versuchte er sich einen Tag später etwas fadenscheinig zu rechtfertigen (Zitat Niggemeier):
"Ich habe nicht über das Niveau der nominierten Beiträge lamentiert. Ich habe über das Niveau der eingereichten Beiträge lamentiert".
Nun denn, jeder nominierte Beitrag ist per se auch einer der eingereichten Beiträge. Die anwesenden Nominierten fanden es jedenfalls eher weniger lustig, und ich war nicht traurig, nach dieser Laudatio nicht gewonnen zu haben, Erleichterung überwog.
Online-Preis
Um beim Thema "Selbstreferenz" zu bleiben: Es geht weiter im Text, und über eben den Herrn Niggemeier schlage ich auch fix wie nix wieder einen Bogen zu einestages von SPIEGEL ONLINE.



Niggemeier sei Dank, ehrlich, ohne Häme, denn er war verantwortlich für mein nächstes erfolgreiches Projekt, das Blog zum Bärenvideo. (Ganz kurz für die Unwissenden: Um meine Theorie zu verifizieren, dass man nur einen einzigen anerkannten "Multiplikator" benötigt, um einem Content eine virale Verbreitung zu verschaffen, bat ich Niggemeier, ein komplett erfolgloses, aber sehr niedliches Video einer Bärenfamilie auf seinem Blog als "Flausch am Sonntag" zu präsentieren und habe die nachfolgende weltweite Verbreitung sowie die damit einhergehende "Umdeutung" in einem täglichen Blog dokumentiert. Aus der entzückenden Bärenfamilie wurde - von mir nicht kontrollierbar - eine Bären-Orgie und ein Bären-Gangbang. Dieses Blog gewann dann im vergangenen Jahr den 2. Preis des ergo direkt Medienpreises in der Kategorie "Online", der STERN-Nachrichtenchef Benninghoff hielt eine wundervoll launige Laudatio, und der Gewinn verschaffte mir meinen ersten - und wohl einzigen - Besuch beim Bundespresseball.)

Eine Zusammenfassung der Bärenvideo-Geschichte, die mich nach wie vor in Erstaunen und Verwunderung stürzt, hatte ich - Sie raten es wohl schon - kürzlich einestages von SPIEGEL ONLINE angeboten. 
Sie werden fragen: Nix dazugelernt?
Ich sage: Jeder verdient eine zweite Chance.

Zurück zum Thema:
einestages greift gerne zu, will "zeitnah veröffentlichen" (Zitat), fragt zudem nach Bildern und ich schicke der Redaktion einige private Bilder, einen Screenshot sowie den Link zum Blog mit der Erlaubnis, man könne sich ja bei Bedarf Bilder herunter laden und verwerten. Die "Verwertung" (besser: Verwurstung) endet in einer 22teiligen Klickstrecke, bestehend aus Bildern und Texten, die meinem Blog entnommen wurden.


Wobei ging es nochmal im Bären-Blog?

Ach ja, er handelt von der Gefahr, dass man über Inhalte, die man ins Netz stellt, keinerlei Kontrolle mehr hat. Siehe mein Text über die Dreharbeiten, dem ein unschöner und unerwünschter dramatischer Touch gegeben wurde. Und nun also der Text zum Bärenblog. Schon die - von der Redaktion gewählte - Überschrift ist vollkommen irreführend und verdreht den Inhalt:

Das Experiment mit der Bärenorgie

Der Text erscheint auf der einestages-Seite von SPIEGEL ONLINE am Morgen des 15. Septembers, einem Samstag. Also zu einem Zeitpunkt, an dem SpON-einestages-Redakteure an alles, aber nicht an ihre Arbeit denken. Ich protestiere sofort, Zitat aus einer Mail von mir an die zuständige Redakteurin vom Samstag, 15. September 2012, 7:38 (eine Antwort erhalte ich DREI Tage später):

Leider leider ist die Überschrift komplett sinnentstellend, denn es ging eben NICHT um ein "Experiment mit der Bärenorgie", sondern ein Experiment mit einem vollkommen harmlosen und niedlichen Bärenvideo, dessen Kontext sich im Zuge der viralen Verbreitung verselbständigte und - von mir weder geplant noch gesteuert, weder gewollt noch erwünscht - mit dem Attribut "Bärenorgie" versehen wurde.

Abgesehen davon, dass kein einziger Satz von mir unverändert veröffentlicht wurde, hat sich auch der Stil des Textes geändert. Ich schrieb ihn ursprünglich in der Gegenwarts-Form, ebenso wie beispielsweise diesen Text. Ein Stilmittel, zu dem ich gerne greife, da es dem Leser das Gefühl vermittelt, dem Geschehen beizuwohnen. einestages gefiel dies offensichtlich nicht, der komplette veröffentlichte Text ist nun in der Vergangenheitsform.
Es dauert nicht lange, und der erste Kommentar trudelt auf einestages ein, Zitat:

Vielleicht sollten Sie sich für eine Sammelklage mit Bettina Wulff zusammentun? Nein, nachvollziehen kann ich Ihre Empörung nicht, Herr Mandelartz. (…) Lesen wir demnächst einen Erfahrungsbericht mit dem Thema: "Ich wurde zur Kaffeefahrt eingeladen - und die wollten uns dann Wolldecken verkaufen"?

Seufz. Im Zusammenhang mit der von einestages gewählten Überschrift klingt mein "Experiment" tatsächlich wie das weinerliche Lamentieren eines klickgeilen Schwachsinnigen. Ich antworte:

Mich hier nun auf eine mediale Stufe mit der Gattin des Ex-Bundespräsidenten stellen zu wollen ist derart dämlich, dass ich darauf nicht weiter eingehe.

Es dauert wiederum nicht lang, und mein Kommentar wird von einestages gelöscht, selbstverständlich OHNE mich darüber zu informieren. Zitat aus einer späteren Mail der Redakteurin an mich:

Mitglieder von einestages hatten einen Ihrer Kommentare als Verstoß gegen die Netiquette gemeldet, da sie in der Bezeichnung "dämlich" eine Beleidigung sahen. Die Moderatoren haben darauf reagiert und den Kommentar zunächst entfernt. Da jedoch offenbar mehrere Diskussionsbeiträge Bezug darauf nahmen, haben sich die Moderatoren entschieden, Ihren Kommentar wieder herzustellen, damit die weiteren Äußerungen nicht zusammenhanglos im Raum stehen.

Nochmal: Ich habe niemals jemanden als "dämlich" beleidigt, nur den Vergleich von mir mit Bettina Wulff als "dämlich" bezeichnet. Wenn man sich tapfer in die (Un)Tiefen der einestages-Seiten begibt, dann stößt man auf Erläuterungen und Erklärungen, was man unter eben jener Netiquette zu verstehen haben soll:


Besonders schön der 3. aufgeführte Punkt (Zitat):

Deine Artikel sprechen für Dich. Sei stolz auf sie.“

Nein, dieser Artikel spricht NICHT für mich und ich bin mit Sicherheit nicht STOLZ auf ihn.

Weiter geht es, in den Richtlinien über die einestages-Diskussionen liest man Folgendes:


Zitat: "Offen, freundschaftlich, respektvoll"


 Es folgen diverse weitere Kommentare, eine kleine Auswahl:

- Und nebenbei - schämt man sich nicht, wegen eines solchen Videos sich beim Bundespresseball zu empfehlen?

- Geht es eigentlich noch peinlicher extrovertiert und selbstreferentieller? 

 - Allerdings ist es eine Frage des persönlichen Geschmacks, wenn Sie in einer öffentlichen Diskussionsrunde Bezeichnungen wie „dämlich“ verwenden. Das sind Dinge, die mich fassungslos machen.

Mir reicht es, ich bitte die Redaktion per Mail, den Text sofort offline zu nehmen. Reaktion:

Was den eigentlichen Artikel betrifft, so behält sich die Redaktion vor - wie in den AGBs ersichtlich und von allen einestages-Mitgliedern bestätigt - -diese Stücke zu bearbeiten. Teaser und Headline sind dabei grundsätzlich in redaktioneller Hoheit. Ihre Befürchtung, die Headline könnte zu einem Missverständnis des Artikels führen, teilen wir so nicht.

In den Nutzungsbedingungen von einestages wird selbstverständlich darauf hingewiesen:
"SPIEGEL ONLINE ist berechtigt, das Werk unter Wahrung der Urheberpersönlichkeit zu bearbeiten, zu kürzen und zu ändern"

Ich persönlich fühle mich in meiner "Urheberpersönlichkeit", nun ja, sagen wir mal: nicht ganz ernst genommen.

Im eingesandten Text hatte ich ein Fazit gezogen, das (kaum verändert) auch so auf einestages erschien:

Fazit? Es ist heutzutage erschreckend einfach, einer viralen Verbreitung einen kleinen, aber entscheidenden „Anschubser“ zu geben. Worüber man sich klar sein muss: Spätestens ab diesem Zeitpunkt hat man die Herrschaft oder „Oberaufsicht“ über seinen zur Verfügung gestellten Inhalt aufgegeben. Man kann nur noch tatenlos zuschauen, was die so oft zitierte Netz-Community aus dem (leichtfertig) zur Verfügung gestellten Content macht.
Und die Moral von der Geschicht? Obacht, Obacht, Obacht.....

Das lasse ich jetzt einfach mal so stehen.....

Nichtsdestotrotz: Das "offene, freundschaftliche und respektvolle Diskussionsklima" vermisse ich angesichts der Kommentare, Zitat "- Geht es eigentlich noch peinlicher extrovertiert und selbstreferentieller? "


Und eben diesen Kommentar möchte nun ICH löschen lassen, einfach mal um zu schauen, was dann passiert. Ich wende mich über die "Verstoß melden"-Funktion an die einestages-Redaktion , mit Verweisen auf die Netiquette. Diesmal kommt die Reaktion prompt, nach nur wenigen Minuten trudelt eine E-Mail ein (Zitat):

Wenn Sie den gemeldeten Kommentar von XXXXX unangemessen finden, nutzen Sie doch die Möglichkeit unserer Debatte und antworten Sie ihm hier direkt.




Zur Erinnerung: Als ICH mich in einem Kommentar äußere und es wage, den Vergleich von mir und Bettina Wulff als "dämlich" zu bezeichnen wird dieser sofort gelöscht mit dem Verweis auf die Netiquette.

PS: Um den Untertitel dieses Textes noch kurz zu erläutern: Sowohl hier als auch auf dem Bärenvideo-Blog landen vermehrt Besucher, die bei Google oder Bing "Tobias Mandelartz Bärenorgie", "Tobias Mandelartz Bear Orgy", "Tobias Mandelartz Gang-Bang" oder ähnliche Such-Kombinationen eingeben.... 
Seufz, ich bin die Betty-Wulff der Bärenorgie geworden, einestages sei Dank!


Und der Vollständigkeit halber: Hier ist sie, die berühmt-berüchtigte Bären-Orgie:

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