Screenshot BILD-Online |
oder:
Die Paralympics und die Grenzen der
guten Berichterstattung
Die Paralympics und die Grenzen der
guten Berichterstattung
oder:
Humor ist, wenn man trotzdem lacht! Was ist passiert? BILD-Online garniert einen Artikel anlässlich der Paralympics in London über die Frage "Wie gehe ich richtig mit Behinderten um?" ausgerechnet mit einer Klickstrecke voller Behindertenwitze der plattesten Sorte - und zieht dafür eine Berechtigung an den Haaren herbei.
Uff, der geneigte Leser muss ein bisschen tapfer sein, denn ausnahmsweise schlägt der tapfere Gefahrgutbeauftragte (den man hier besser kennenlernen kann) einen großen Bogen, um zum Thema zu kommen... Kleiner Vorgeschmack gefällig? Hier einer der Witz aus BILD-Online von heute (31.08.2012):
Screenshot BILD-Online 31.08.2012 |
Auch herzhaft gelacht, obwohl weder blind noch Rollstuhlfahrer?
Wenn nicht, dann bitte gerne weiterlesen.....
Nach den Olympischen Spielen (sommers wie winters) folgen mit ein paar Wochen Verzögerung jeweils die Paralympischen Spiele, kurz und knapp Paralympics genannt. Die ehemals "Weltspiele der Gelähmten" titulierten Wettkämpfe haben sich längst zu einem ebenbürtigen und gleichwertigen internationalen Sport-Ereignis entwickelt, mit (annähernd) entsprechender Berichterstattung und Beachtung. "Annähernd" deshalb, weil Sendezeiten im TV und Vorkommen in der Presse nach wie vor eher unter "ferner liefen" versteckt werden.
Nichtsdestotrotz, wir wollen hier nicht nur meckern, auch loben: Die Presse-Organe behandeln die Paralympics im Großen und Ganzen recht ordentlich und mit vergleichbarem Enthusiasmus. Auch BILD war bisher - abgesehen von den typischen Doppel-Wortspielchen, etwa Handicap-Helden oder Judo -Zwillingen)-keinesfalls unangenehm aufgefallen. Wenn da nicht das Dilemma mit der, ähm, wie sagen wir es mal komplett wertfrei: Problemstellung der Wortwahl und dem journalistischen Umgang mit der
„Leidmedien.de“ will Journalistinnen und Journalisten für die Berichterstattung über Behinderung sensibilisieren. Floskeln wie „an den Rollstuhl gefesselt“ oder “trotz der Behinderung” reduzieren behinderte Menschen auf ihre „Defizite“ und verstärken abwertende Bilder von Hilflosigkeit und Leid.„Leidmedien.de“ ist ein Produkt von behinderten und nichtbehinderten Medienschaffenden, die nicht belehren, sondern andere Perspektiven eröffnen wollen.
Das Online-Portal, das eine Vielzahl von guten und schlechten Beispielen aufweist und dabei komplett ohne erhobenen Zeigefinger und mit sanfter Hand Tipps für einen unaufgeregten und versachlichten sprachlichen Umgang mit Menschen mit Behinderung gibt ist - abgesehen von einer grafisch absolut gelungenen Umsetzung - auch für Nicht-Journalisten interessant, denn so manch simpler und verinnerlichter Sprach-Denk-Gebrauch wird hier klug zurecht gerückt.
Zurück zum Thema, denn nicht umsonst regt sich der tapfere kleine Gefahrgutbeauftragte auf:
Bild-Online unternahm den eigentlich lobenswerten Versuch, zu erklären, was geht und was nicht.
Fragestellung, aktuell passend zu den Paralympics: Wie gehe ich richtig mit Behinderten um?
Schon der erste praktische Tipp ist grotesk:
Frage: Soll ich einem Blinden auf der Straße Hilfe anbieten?
Antwort BILD: Wenn ein Mensch mit Behinderung Hilfe braucht, wird er es Ihnen sagen.
Praxischeck: Ich selber habe schon mindestens 3x in meinem Leben Blinde davor bewahrt, aufgrund von grün-piependen Fußgängerampeln in blöd-bescheuerte Auto-Rowdies reinzurennen, die meinten, noch mal schnell über den Zebrastreifen brausen zu können. Fazit: Bullshit. Wer sieht, dass ein Behinderter gerade Hilfe benötigen könnte: Helfen!
Zurück zum Artikel auf BILD-Online:
Nach diversen ähnlich tollen Tipps und Hilfestellungen ("Kann ich eine Prothesenhand schütteln?") kommt die Redaktion endlich zum launigen Teil, den Behindertenwitzen, siehe oben. Ja, so was gibt es. Soll es auch geben, denn wenn man keine Witze über Behinderte machen DARF wäre auch DAS eine Ausgrenzung, die nicht dazu beitragen würde, dass Menschen mit Behinderung ganz normal zu unserer Gesellschaft gehören. Es kommt halt nur darauf an, WER die Witze macht und ich WELCHEM Zusammenhang. BILD macht es sich einfach und verweist auf eine ominöse Witzesammlung von Rául Krauthausen. Krauthausen? Wer ihn bisher nicht kennen sollte: Der 1980 in Lima geborene, in Berlin wohnende Rolli-Aktivist ist eine der herausragenden deutschen Persönlichkeiten, wenn es um die intellektuelle und praktische Auseinandersetzung mit dem Thema Behinderungen des Menschen und Behinderungen durch den Alltag für Menschen mit Behinderung geht. Sein Projekt wheelmap, das Rollstuhlfahrern quasi eine Weltkarte für barrierefreies Besuchen von Cafés, Museen, Schwimmbädern oder anderen öffentlichen Einrichtungen bietet, ist vielfach preisgekrönt und ein absolut beeindruckendes Beispiel für ein Community-Projekt: Zu der momentan vorhandenen Viertelmillion an hilfreichen Beiträgen kommen täglich 200 frische Tipps hinzu.Aber ich schweife wieder ab, sorry, wir waren bei den Behinderten.Witzen. Noch einer gefällig? Nach dem Motto "Ein bisschen Spasmus sein":
Screenshot BILD-Online 31.08.2012 |
Schon wieder nicht lachen können? Keine Sorge, das liegt dann nicht daran, dass Sie komplett humorfrei sind, nein, das liegt daran, dass Sie über ein Mindestmaß an gesundem Menschenverstand verfügen. Und eben diese Behindertenwitze sollen laut BILD-Online einer Witzesammlung von Rául Krauthausen entstammen, denn das sei sein Hobby: "Behindertenwitze sammeln".
Werfen wir mal einen kurzen Blick auf den Ursprung dieser sonderlichen Nachricht: Rául Krauthausen hatte auf seinem Google+-Profil,- neben einer Vielzahl von anderen Postings - am 20.07.2012 die eher läppische und wahrhaftig nicht weltbewegende Frage, oder besser: Aufforderung gepostet:
Übrigens, der einzige Witz aus "Rául Krauthausens Witzesammlung", der es NICHT in die BIlLD schaffte, der so oder ähnlich zwar schon länger bekannt ist, über den der Gefahrgutbeauftragte aber immer wieder lachen kann, geht so:
Kommen ein Schwuler, ein Chinese, ein Rollstuhlfahrer und eine Ossi-Mutti in eine Kneipe.
Fragt der Wirt: "Was seid ihr denn für eine lustige Truppe?"
Antwort: "Wir sind keine lustige Truppe, wir sind die Bundesregierung!"
Kurze Nachfrage bei Rául Krauthausen, wie er selber die Berichterstattung sieht. Seine Antwort per Mail (mit seiner Einwilligung, Original-Zitat)) steht nun hier unten, und ich verzichte danach auf jeglichen sich anbietenden Kommentar, denn das hat sich nun
"Vor ca. 2 Wochen haben wir vom SOZIALHELDEN e.V. (http://www.sozialhelden.de) das Projekt Leidmedien.de (http://leidmedien.de) in's Leben gerufen. Mit Leidmedien.de wollen wir Journalisten dafür sensibilisieren, wie man unserer Ansicht nach adäquat über Menschen mit Behinderung berichtet, redet, spricht - ohne in die permanent gleiche Helden- oder Mitleidsmetaphorik zu fallen und die ewig gleichen Floskeln zu verwenden.
Es ist schön, dass die Presse das Thema sehr wohlwollend aufgreift und darüber berichtet. Auch die BILD hat sich des Themas angenommen und ein Kurz-Interview (spätnachmittags via Handy) mit mir geführt. Mein Hinweis, dass ich die Behindertenwitze etwas unpassend an der Stelle finde, wurde lediglich mit dem Zitat von mir "Sie (die Behindertenwitze) sind genauso in Ordnung wie Blondinen- und Ostfriesen, sollten aber auch nie verletzend sein." abgemildert. Nun wirkt es so, als ob ich das alles immer "ok" finde. Was ich aber nicht tue. Der Sachverhalt ist wesentlich komplexer und sollte nicht so verkürzt dargestellt werden. Auch habe ich keine "Top 10" der Behindertenwitze erstellt sondern sie lediglich gesammelt. Die Top 10 wurde von der BILD-Redaktion ausgewählt. Fragwürdig"